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* Leserbrief * Spiegel 5/2018: „Am Ende aller Kräfte“

6. Februar 2018

 

Artikel Der Spiegel 5/2018: „Am Ende aller Kräfte“

– Leserbrief Brigitte Bührlen :

Sehr geehrte Damen und Herrn der Redaktion, 
Sehr geehrter Herr Fichtner,

zunächst einmal möchte ich mich bedanken für den sorgfältig und fundiert recherchierten Artikel zum Thema „Pflege“.
Erfreulicherweise sind Sie in die Tiefe gegangen, haben die Entwicklung des Pflegesystems nachgezeichnet und auf das systemische Problem im Bereich der Pflege hingewiesen. Es wurden in dem Artikel nicht nur die Symptome der „Pflegekrankheit“ benannt, sondern auch die sie auslösenden systemischen Ursachen in Teilen diagnostiziert und thematisiert.
Bei Einführung der Pflegeversicherung wurde die Verantwortung für Pflege und Fürsorge eines pflegebedürftigen Bürgers in die freie Wirtschaft „outgesourced“: Angebot und Nachfrage sollten die Qualität regeln. Der Staat hat die Fürsorge für seine Bürger also in die Hände von gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen gelegt. An den Beratertischen der Politik sitzen vor allem Vertreter der Gesundheits- und Pflegewirtschaft.
Ihr Artikel befasst sich vor allem mit der Situation der professionellen stationären Pflege älterer Menschen. 
Pflegesituationen können allerdings vom ersten bis zum letzten Atemzug eines Menschen bestehen oder entstehen. 
Von der Politik wird „ambulant vor stationär“ propagiert: Die Hauptgruppe der Pflegenden sind also die Bürger unterschiedlichen Alters, die sogenannten „pflegenden Angehörigen“.
Sie leisten privat und unentgeltlich, großenteils neben ihrer beruflichen Tätigkeit den Hauptteil der ganzheitlichen Sorge und Pflege an 24 Stunden und 365 Tagen im Jahr. Sie stellen die Pflege in Deutschland sicher.
Wie lange kann es wohl noch gut gehen, Regelungen des 19. Jahrhunderts (Bismarck) unreformiert als Grundlage der Pflege im Deutschland des 21. Jahrhunderts zu belassen? Nach BGB §1618a sind wir zur familien- und generationensolidarischen Sorge füreinander verpflichtet. 
In welchen Familien, die nicht mehr in Mehrgenerationenhäusern am selben Ort wohnen, sollen wir uns denn solidarisch pflegen?
Von welchen Familien ist überhaupt die Rede? Von Vater-Mutter-Kind Ehen mit Trauschein? 
Wie sollen wir diese Regelung mit unseren völlig veränderten Rahmenbedingungen im Bereich Familie, Wohnen und Arbeiten in Einklang bringen? Wir leben im globalisierten 21. Jahrhundert. Die Rahmenbedingungen des 19. Jahrhunderts passen einfach nicht mehr in das 21. Jahrhundert.
Der Zusammenbruch des Pflege-Grundpfeilers, sprich der familiären Pflegemöglichkeit und der privaten finanziellen Leistungsfähigkeit der Bevölkerung ist vorprogrammiert.
Es bedarf einer Reform! Es braucht einen Neuanfang. 
Es fragt sich nur, in wessen Interesse es sein kann, diesen Neuanfang anzustoßen? 
Offensichtlich wohl nicht im Interesse der Politik und der ihr verbundenen Pflegewirtschaft. 
So bleiben also nur noch wir, die Bevölkerung. In unserem Interesse liegt es, eine Veränderung zu bewirken. 
Nur: Wo ist die Lobby für uns selbst? Wir haben es bei Einführung der Pflegeversicherung versäumt, diese Bürger-Lobby zu bilden.
Ich habe die „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ gegründet, um diese Lobbybildung von der Basis aus anzuregen. Es kann einfach nicht sein, dass wir Bürger dem Komplex aus Politik und Pflegewirtschaft machtlos ausgeliefert gegenüberstehen.
Vielleicht nehmen Sie sich auch dieser Facette des Pflegesystems einmal an? Viele stimm- und sprachlos pflegende Angehörige jeden Alters im Land würden es Ihnen sicherlich danken.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Bührlen